Ein Jahr der Spaltung, des Kampfes und des Ringens um Solidarität
Während des ersten Lockdowns haben unsere Kolleg_innen von adis e.V. eine klare Analyse der Verschärfung von sozialer Ungerechtigkeit in der Corona-Krise geschrieben: Nichts ist neu, aber die Tragweite von Diskriminierung hat mit der Krise eine neue Deutlichkeit erzeugt. Wir haben diese Schärfe auch in unserer Arbeit gespürt. Wir haben von der Härte und der Verzweiflung gehört, die Menschen erfahren, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen können und gleichzeitig von struktureller Diskriminierung wie Rassismus oder Ableismus betroffen sind.
Auf der anderen Seite haben wir erfahren wie unser Wirkungsbereich der AD-Arbeit von Menschen eingenommen wurde, die sich in ihren Grundrechten eingeschränkt fühlen, wenn es darum geht, sich selbst und ihre Mitmenschen zu schützen. In Karlsruhe wurde bei einer Kundgebung ein 11-jähriges Kind instrumentalisiert, das sich mit Anne Frank verglich, die sich mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten verstecken musste und 1945 im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde. Auf „Querdenken Demos“ tragen Menschen den Davidstern, den Juden_Jüdinnen während des Dritten Reichs als Kennzeichen tragen mussten. Hierbei handelt es sich um Verharmlosungen der Shoa und eine unerträgliche Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die ermordet wurden, deren Angehörigen sowie gegenüber der jüdischen Community.
Als Büro für Diskriminierungskritische Arbeit Stuttgart distanzieren wir uns deutlich von diesen Entwicklungen. In der aktuellen Situation, die von unzähligen widersprüchlichen Informationen geprägt wird, sind unser fachliches Verständnis von Diskriminierung und unsere innere Haltung unser Kompass. Wir stehen an der Seite derjenigen, deren Leid nicht gehört wird, da ihre Perspektive gesellschaftlich nicht ausreichend repräsentiert wird. Wir stehen solidarisch mit den Betroffenen des rassistischen Anschlags in Hanau. Wir stehen solidarisch mit der Black Lives Matter Bewegung, die durch die globalen Auswirkungen der rassistischen Ermordung von George Floyd mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit bekommen hat.
Jetzt ist es an der Zeit, dass sich der Diskurs über Rassismus als strukturelles Phänomen auch in Deutschland nachhaltig etabliert. Wir fordern eine Umsetzung dessen in allen gesellschaftlichen Bereichen!
Wir wissen, dass Mehrfachdiskriminierung Menschen besonders häufig in Notlagen wirft. Wir wissen auch wie stark und resilient die Menschen sind, die sich in diesem Jahr entschieden haben, sich für ihre eigenen Rechte und die Rechte ihrer Mitmenschen einzusetzen. Es kommt selten vor, dass Personen, die von struktureller Diskriminierung betroffen sind nur ihre eigene Lage thematisieren. Fast alle teilen uns mit, dass sie nicht möchten, dass andere Menschen das Gleiche erleben müssen wie sie.
Unser aller Erfahrungen sind verschieden und gleichzeitig miteinander verbunden. Eine Stimme, die sich erhebt, erzählt viele Geschichten: die eigene und die Geschichten anderer Menschen, die aus verschiedensten Gründen gerade nicht gehört werden. Im BfDA arbeiten wir daran, unsere eigenen Stimmen transparent zu machen und als Unterstützung für marginalisierte Stimmen einzusetzen. Durch vereinte gesellschaftliche Kräfte durften wir, mit allen Herausforderungen dieses Jahres, erleben wie aus tiefem Schmerz, manchmal Ohnmacht, durch solidarisches Handeln neue Kraft und Transformation entstehen.
Wir wünschen allen Menschen, die Diskriminierung erfahren, tiefe Atemzüge der Erholung und ruhige Momente in unterstützender Gemeinschaft. Wir wünschen allen Partner_innen und Mitstreiter_innen eine besinnliche Winterpause und freuen uns auf viele weitere stärkende Begegnungen im neuen Jahr.
Das Team vom Büro für Diskriminierungskritische Arbeit